SP Schweiz-Parteitag in Winterthur, 28.6.2014 – Subjektiver und nicht vollständiger Bericht

Wie bereits an früheren DV-s und Parteitagen habe ich wieder einen Bericht geschrieben. Mein Bericht enthält nicht alle Details, sowie einen eher subjektiven Eindruck. Den genauen Ablauf findet Ihr im Protokoll, welches die SPS demnächst im Internet aufschalten wird (wie übrigens auch die Traktandenliste). Selbstverständlich seid Ihr frei, den Bericht an Interessierte weiterzugeben.

Von Kriens war noch Peter Faessler dabei, und natürlich die anderen Vertreter des Kantons Luzern.

SP-Parteitag in Winterthur, 28.6.2014 – Subjektiver und nicht vollständiger Bericht

 

Der Parteitag vom 28. Juni war wie immer vorzüglich organisiert hier von der SP Winterthur. Sie fand in den Räumlichkeiten der ehemaligen Maschinenfabrik Sulzer statt. Der Weg zum Tagungslokal war mit roten Luftballons markiert.

 

Haupttraktandum war die Steuerpolitik. Bereits in den Begrüssungsworten von Nicolas Galadé, Stadtrat und Sozialvorsteher von Winterthur, kam indirekt das Hauptthema zur Sprache. Er erzählte von den zahlreichen notwendigen Sparmassnahmen. Ja, und warum sind in so vielen Gemeinden der Schweiz, aber Kantonen und auch beim Bund die Mittel so knapp. Nun, ganz einfach, die Steuereinnahmen brechen weg. Überall gibt es Steuersenkungen, und Vorteile für Unternehmen, Nach Meinung bürgerlicher Politiker sollte sich das positiv auf die Ertragslage der Unternehmen und dann auf die Höhe der Investitionen und schliesslich auch wieder positiv auf die Staatseinnahmen auswirken. Die Ausführungen Galladés zeigten, dass die bürgerliche Theorie auf wackligen Füssen steht. Überall wird gespart und noch mehr und noch mehr, und keine Entlastung der Staatsfinanzen in Sicht. Anschliessend ergriffen Mattea Meyer und Christoph Baumann, Kopräsidium der SP Winterthur das Wort. Winterthur erhielt vor ziemlich genau 750 Jahren das Stadtrecht. Bedeutend ist aber auch die Industriegeschichte dieser Stadt. Es war dort so wie in vielen anderen Industrieregionen Europas, (und ist heute noch so in vielen Entwicklungsländern) dass einem zahlenmässig kleinen aber sehr reichen Unternehmertum ein sehr grosses armes Proletariat gegenüberstand. Deshalb wurde hier vor 150 Jahren ein Arbeiterverein gegründet. Ähnliche Gründungen gab es auch in vielen anderen Regionen der Schweiz. Diese Arbeitervereine waren Vorläuferorganisationen unser sozialdemokratischen Partei.

 

In den Siebziger Jahren bei der ersten Ölkrise musste dann zum ersten Mal kräftig gespart. Es waren die Vorboten des Neoliberalismus. Viele Industriebetriebe von Winterthur wurden verlagert, wurden fusioniert, oder gingen Konkurs. Man kann heute von einer regelrechten industriellen Öde sprechen. Ab den Neunziger Jahren wurde Winterthur von einer rot-grünen Mehrheit regiert. Diese Mehrheit bewies viel Mut. Winterthur blühte damit kulturell auf. Winterthur war damals die kleinste Grossstadt der Schweiz. Leider ist die rotgrüne Mehrheit bei den Wahlen 2014 zusammengebrochen. Jetzt stehen zahlreiche Privatisierungen an, Winterthur wird wieder in eine Kultur der Biederkeit zurückfallen, weniger solidarisch und weniger demokratisch.

 

Nach den statutarischen Geschäften, ergriff Christian Levrat das Wort. In seiner Grundsatzrede begann er mit einem Gespräch, welches er vor kurzem mit einem reichen Manager geführt hatte. Dieser beschwerte sich über den Abstimmungskampf anlässlich der 1:12-Initiative. Er betrachtete diese Abstimmung auch als Angriff auf sein Privatleben. Das Ganze war eben auch infam. Er habe damals seinen sehr hohen Lohn nicht öffentlich begründet. Man hat ihm deshalb Feigheit vorgeworfen. Hätte er aber seine Gründe öffentlich dargelegt, dann wäre er im damaligen Abstimmungskampf der Lächerlichkeit preisgegeben worden. Levrat hat ihm Folgendes entgegnet: Die Superreichen müssten ihren Platz und ihre Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen wie alle anderen auch, also ihre Kinder auf öffentliche Schulen schicken, sich am öffentlichen Leben beteiligen, ihre Steuern bezahlen etc. Auf dieser Basis konnten sie sich dann einigen.

 

(Persönliche Bemerkung von mir: Mich hat diese Formel nicht befriedigt. Denn, alle Argumente, welche ich damals von den Gegnern der Initiative gehört habe, waren wenig stichhaltig, ich habe ja an der Hofmatt Kriens selbst an einem SP-Stand mit einem Vertreter der Arbeitgeberseite diskutiert. Er hat wahrlich nicht viel bieten können. Ist es wirklich nur infam, wenn die Arbeitgeber ausgelacht wurden, oder lag es daran, dass sie keine tragfähigen Argumente hatten. Natürlich ist es schwer, sein Einkommen zu rechtfertigen. Denn dies bestimmen bei jedem Arbeitnehmer Markt und Verhandlungsgeschick des Arbeitnehmers gegenüber der Arbeitgeberseite. Aber in einer Situation, wo das Lohnsystem regelrecht zu explodieren droht, wo die Reichen immer reicher werden, und die Armen nicht nur nicht reicher, sondern permanent Lohneinbussen hinnehmen müssen, da sind solche Fragen gerechtfertigt.)

 

Steuern bezahlen, das war das Stichwort des Parteitages. Er fuhr fort. Die SP habe immer für eine gerechte Steuerpolitik gekämpft. Die SP sei hier glaubwürdig. Die Steuerschlupflöcher haben sich heute vervielfacht. Er nennt als Beispiel die Senkung der Steuern auf Unternehmensgewinnen. Empirisch kann man die Auswirkungen belegen. So hat das Vermögen der 300 reichsten Schweizer in den letzten Jahren um 100 Milliarden Schweizer Franken zugenommen. Es gäbe Statistiken, wonach nur Singapur eine grösserer Ungleichverteilung der Vermögen als die Schweiz aufweise. Er zitiert dazu die Arbeit von Piketty. Die Rechte würden ihre Verantwortung in dieser Situation nur bedingt wahrnehmen. Als Beispiel nennt er die Familieninitiative der CVP-Natürlich erscheint eine Steuerentlastung der Familien vernünftig. Einem erheblichen Teil der Familien bringt dies aber gar nichts, da sie ohnehin wenig Steuern zahlen. Merkbar wirkt die Initiative nur für wohlhabende Haushalte. Mit anderen Worten: Die CVP will die Familienzulagen fiskalisieren. Viel besser wäre demgegenüber ein Kindergutschriftensystem, also eine Art negativer Einkommenssteuer, wie sie die SP ja vorsehe (vgl Resolution R1 “Eine Gutschrift für jedes Kind”. (R1 wurde in zustimmendem Sinne während meiner Mittagspause von den Delegierten verabschiedet.) Hinzu kommt, dass die Initiative der CVP zu Steuerausfällen führt. Wenn diese Steuerausfälle spürbar werden, folgen nach aller Erfahrung Sparprogramme. Und wo wird gespart? Unter anderem auch an Schulen, Musikschulen, an sportlichen Anlässen. Wollen die Eltern diese Aktivitäten weiterführen, müssen sie dies aus eigenen Mitteln finanzieren. Wo bleibt da die Förderung der Familien. Die Mehrheit zahlt die Zeche.

 

Die Bevölkerung ist zunehmend unzufrieden mit dieser Entwicklung. Sie wird deshalb mit nationalkonservativen Aktivitäten abgelenkt. Levrat leitet über zu m Thema Ausländerpolitik nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative. Natürlich wir müssen die Verfassung erfüllen. Aber wir werden uns in jedem Fall dagegen wenden, dass der menschenunwürdige Saisonnierstatut wieder eingeführt wird. Er sagt, dass die Bevölkerung bei der Masseneinwanderungsinitiative getäuscht wurde. Die SVP habe gesagt, dass werde mit Brüssel keine Probleme geben, nichts werde passieren. Jetzt scheint es doch nicht so zu sein. Wir müssen jetzt aber nicht den Bundesrat rufen, denn der habe seine Arbeit gemacht, sondern den Chef, nämlich das Volk.

 

Als Nächstes sprach Bundesrat Berset, der wirklich ausgezeichnet Deutsch spricht: Eine zentrale Rolle nimmt unsere Kultur in unserem Leben ein (NB! Kulturpolitik gehört zu Bersets Bundesratsressort.) Die Kultur sei unsere Identität. Eine wichtige Rolle darin spielen die Sprachen, welche mehr als ein Mittel der Verständigung seien. Für die Schweiz sei es wichtig, dass man die Landessprachen pflege. Wichtig sei, dass jeder Schweizer die anderen Landessprachen kenne. Ein Deutschschweizer Schüler habe gesagt. Französisch sei eben weniger sexy als Englisch (Bemerkung von mir: Das habe ich auch schon gehört. Der Junge hat das nachgeplappert.) Aber er sieht auch bei den französisch – sprachigen Jugendlichen ähnliche Tendenzen in Bezug auf das Deutsche. Er zitiert Mark Twain, der über die deutsche Sprache gesagt hat, deutsche Worte seien gar keine Worte, sondern alphabetische Prozessionen. Aber bei allem Verständnis für die Schüler, wir müssen die jeweils andere Sprache lernen. Berset betont dabei: Das Italienische dürfe dabei nicht unter die Räder kommen. Er resümiert: “Wenn wir uns nicht mehr verstehen, steht die Schweiz auf dem Spiel.”

 

Anschliessend wendet er sich seinem Hauptdossier, der Altersvorsorge zu. Über Einheitskasseninitiative, welche später traktandiert ist, verliert er kein Wort. Wichtig sind für ihn zwei Ziele:

 

–  Das Leistungsniveau der Altersvorsorge muss erhalten bleiben. (Bemerkung: eigentlich müsste das Niveau steigen, denn die Wirtschaft wächst, die Produktivität steigt, aber wie wir alle wissen, der Produktivitätsfortschritt bleibt bei einigen wenigen hängen.)

– Es muss Transparenz herrschen. Jeder muss wissen was er für welche Zahlung erhält.

 

Berset vergleicht die Altersvorsorge mit einem Mobile. Das Mobile besteht fast nur aus “umstrittenen Teilen”. Aber entscheidend ist, dass das Mobile funktioniert, und die Balance gewahrt bleibt. Ein Beispiel sind die Ergänzungsleistungen (EL). Diese werden von der Allgemeinheit bezahlt. Aber in der zweiten Säule gibt es zahlreiche Vorbezugsmöglichkeiten für das angesparte Kapital. Wenn solche Vorbezüge scheiterten, dann müsste die Allgemeinheit via EL  das Manko bezahlten. Aus diesem Grund müssten die Vorbezugsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Eine Gesetzesänderung sei in Planung. Die Modalitäten werden bis Herbst geklärt sein.

 

Wie wichtig die Altersvorsorge ist, erklärt er mit einem Bericht über die Altersprobleme vor 100 Jahren. Wir müssen verhindern, dass die Altersarmut zurückkehrt. Dazu muss die Sicherheit der Renten und der Rentenhöhe ins Zentrum gesetzt werden. Dieser Schritt muss gelingen.

 

Zum Schluss kehrt Bundesrat Berset zur Kulturpolitik zurück. Eine starke Kulturpolitik ist die richtige Antwort auf die Globalisierung. Je schwächer die Kultur, desto stärker ist die abwehrende Reaktion gegen alles Fremde. Wir aber sollten aber optimistisch in die Zukunft sehen. Dazu zitiert er den Münchner Komiker Karl Valentin: “Früher war alles besser, auch die Zukunft.”

 

Anschliessend findet das Traktandum Wahlen statt. Die Geschäftsleitung wird in ihrem Amt bestätigt. Für den zurückgetretenen Lathan Suntharalingam stehen Francoise Bassand, Zürich, und Filippo Ribola. Lausanne, zur Wahl. Gewählt wird Filippo Rivola, Lausanne. Ich selbst habe Filippo Rivola meine Stimme gegeben, muss aber sagen, dass aufgrund der mir vorliegenden Informationen beide Kandidaten gleichwertig waren.

 

Speziell Christian Levrat wird ist einem Amt als Parteipräsident einstimmig und mit grossem Applaus bestätigt. Er bedankt sich mit einer kurzen Rede. Er ist stolz auf seine Partei, welche die moderne Schweiz mitgestaltet hat.

 

Nun hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga das Wort. Als erstes beglückwünscht sie den “besten Parteipräsidenten der Schweiz” zur Wiederwahl. Und dann ist sie sofort beim Traktandum Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.

 

Sie stützt ihr Vorgehen auf drei Pfeiler:

 

Der erste Pfeiler ist der Verfassungstext. Der Verfassungstext biete einen gewissen Spielraum, aber dieser Spielraum reiche nicht so weit, die Verfassung nicht umzusetzen. “Die Verfassung gilt”. Wenn wir uns nicht an die Verfassung gebunden fühlen, dann ist dies ein Infrage-Stellen der direkten Demokratie. Andernfalls wäre dies nur eine symbolische Demokratie.

 

Der zweite Pfeiler heisst: Wir müssen alle völkerrechtlichen Verpflichtungen einhalten.

 

Der dritte Pfeiler heisst: Die Einwanderung darf nicht dazu dienen, billige Arbeitskräfte ins Land zu holen.

 

Hinzu kommt, dass die Schweiz noch ca. 149’000 Arbeitskräfte berufstätig sein könnten, wenn Beruf und Familie besser vereinbar wären. Ansonsten strebt sie gute, starke und klar geregelte Beziehungen zur EU an. Das alles wird nicht einfach werden. Aber das wussten wir bereits am 9.2.

 

Schliesslich machte sie einige Bemerkungen zur Ecopop-Initiative. Diese sei unlogisch und egoistisch und auf verkappte Weise fremdenfeindlich. Unlogisch, da Umweltprobleme ja globaler Natur seien. Ob die Migranten die Schweizer überqueren, oder nicht, die Umweltverschmutzung bleibt gleich. (Bemerkung: Da habe ich mich diebisch gefreut. Denn so hatte ich immer schon argumentiert.) Zur familienpolitischen Komponente merkte Sommaruga lapidar an, es sei besser Bildung zu fördern, statt Kondome zu verteilen.

 

Die Entwicklungen in Irak, Syrien und Libyen erfüllen sie mit Sorge. Immerhin habe die Schweiz ein weiteres Kontingent von 120 UNHCR-Flüchtlingen (davon 100 Frauen und Kinder) bewilligt. Dies ist ein Zeichen der Solidarität. Zu beachten ist hier speziell. Gegen Ende 2013 waren weltweit 51 Millionen Menschen auf der Flucht. Die UNHCR-Kontingente umfassen demgegenüber nur einige 10’000 Personen. Die Schweiz ist übrigens das einzige Land in Europa, welches in diesem Zusammenhang Flüchtlinge aufgenommen hat.

 

Vom Asylwesen berichtet sie, dass die Neustrukturierung gut vorankäme.

 

Schliesslich eine Bemerkung zur Beschnüffelung und zum Büpf. Man dürfe beides nicht durcheinander bringen. (Bemerkung: Bei der Verabschiedung der Resolutionen haben die Parteitagsdelegierten entgegen ihrer Intention abgestimmt und R6 angenommen.)

 

Anschliessend wurden zwei Resolutionen verabschiedet. Ich war nicht wegen Mittagspause abwesend, und kann dazu nichts schreiben.

 

Als nächstes war das Haupttraktandumg an der Reihe: Das Papier der Steuergerechtigkeit,

 

Zur Einstimmung war der Soziologieprofessor Ueli Mäder als Gastredner eingeladen. Man kann hier nur danken, dass die SP einen so ausgezeichneten Referenten gefunden hat.

Mäder ging davon aus, dass zur Zeit eine äusserst starke soziale Ungleichheit in der Schweiz herrscht. Zwar sei die Schweiz ein reiches Land. Das Durchschnittsvermögen betrage 400’000 Franken. In Deutschland sei das Durchschnittsvermögen nicht einmal halb so hoch. (Bemerkung: Allerdings sind in Deutschland die Preise deutlich niedriger, wenn man das unterschiedliche Preisniveau rausrechnet, liegen beiden Durchschnittswerte, so scheint mir, gar nicht so weit auseinander.) Aber die Verteilung ist höchst ungleich. 1.5 % besitzen die Hälfte des Vermögens. Man kann einwenden, dass das dies ja die Vermögen seien, dass aber die Einkommen sehr viel weniger ungleich verteilt seien. Aber trifft das zu? Maeder plädiert statt des Einkommens das verfügbare Einkommen zu vergleichen. Und dieses ist verfügbares Einkommen = Lohn + Zinsen + Dividenden + Grundstücksgewinne + Kursgewinne – Steuern – Versicherungsprämien – Mieten – Gesundheitskosten. Und wenn man das verfügbare Einkommen zu Grunde legt, dann ergibt sich, dass eben auch bei den Einkommen eine beträchtliche Ungleichheit herrscht.

 

Hinzu kommt: Während die 10% höchsten Einkommen pro Jahr um 10’000 Franken  zugelegt haben, sind die 10% tiefsten Einkommen gesunken. Bei den einen ist der Lift hochgegangen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Arbeitslosen stark angestiegen ist. 1972 betrug die Zahl der Arbeitslosen in der Schweiz 106. In den Folgejahren ist die Arbeitslosen stark angestiegen. Bedenklich ist, dass Ungleichheit zunehmend auf Akzeptanz stösst. Rund 200’000 Arbeitnehmer verdienen weniger als das Existenzminimum. Man könnte sagen, dass das ja nur eine kleine Minderheit darstellt. Aber, in diese Menge von 200’000 Arbeitnehmer sind die Teilzeitarbeitnehmer nicht eingerechnet. (Deren Löhne wurden auf 100% hochgerechnet. Hinzu kommt, das bei einem Einkommen ganze Familien daran hängen. Zu beachten ist ferner: Je tiefer das Einkommen, umso häufiger treten gesundheitliche Störungen auf. Die Ausfälle haben sich seit Beginn der Wirtschaftskrise verdoppelt.  Schliesslich macht Ueli Maeder eine Bemerkung zur Ida-Fiso-Studie. Dort wurden die Finanzen der Sozialversicherung als Ganzes als sehr düster gesehen. Tatsächlich waren die Einnahmen aller Sozialversicherung zusammen nie negativ im schlechtesten Jahr waren es 155 – 133 Milliarden, also immer noch ein Überschuss von 22 Milliarden Franken. (Bemerkung: Diese Gesamtsicht ist insofern wichtig, da die eigentlich massgebliche Grösse die Summe der Gesamtausgaben und – Einnahmen ist. Grundsätzlich ist es eben gar nicht sinnvoll, das Jahresergebnis von Teilbereichen zu untersuchen.)

 

Maeder stellt schliesslich eine Frage an das Publikum. Gibt es mehr 20-Jährige oder mehr über 65-Jährige Die Meinung, dass es mehr über über 65-Jährige gibt, obsiegt mit einer gefühlten Zwei-Drittelmehrheit (Bemerkung: Als gewesener Versicherungsmathematiker habe ich richtig gestimmt). Mäder kommentiert das Resultat, dass eben manchmal eine Mehrheit irrt. Das beweist, dass Propaganda zu völlig falschen Meinungen über Sachfragen führen kann.

 

Wenn wir die jetzige Situation ändern wollen, ist es zentral, das Steuersystem ändern.

 

Maeder empfiehlt uns zum Schluss nicht zu stark den Begriff der Leistungsgerechtigkeit zu verwenden. Es kommt auf das an, was wirklich wichtig ist im Leben. Er wünscht uns viel Erfolg bei unseren Steuerplänen. Er schliesst mit einem Grafitti, welches sehr gut auf unsere Situation passt: “Wir scheitern nicht an den Niederlagen, sondern eher an den Auseinandersetzungen, die wir nicht wagen.”

 

In der Eintretensdebatte zum Steuerpapier redet Rolf Zimmermann für SP 60+. Zunächst bedankt er sich für das ausgezeichnete Papier. Allenfalls könnte man einige sprachliche Korrekturen anbringen. Statt “es braucht” “wir wünschen”, “wir wollen” oder Ähnliches. Selbstverständlich plädiert er für Eintreten. Ansonsten macht er noch einige technische Vorschläge. Auch die anderen Redner plädieren für Eintreten. Susanne Leutenegger-Oberholzer macht noch auf die Abstimmung über die Abschaffung der Pauschalbesteuerung im November 2014 aufmerksam. Wir können diese Abstimmung gewinnen. In den Kantonen SH, ZH und BS haben wir sie bereits gewonnen. Die Initiative wurde von der Alternativen Liste lanciert. Die SP hat die AL bei der Unterschriftensammlung unterstützt. Sie muss sie auch im Abstimmungskampf unterstützen.

 

Anschliessend wird Eintreten einstimmig beschlossen.

 

Vor Beginn der Detailberatungen ergreift  Helmut Hubacher das Wort. Er lässt auf eindrückliche Weise die Geschichte über das Bankengeheimnis Revue passieren. Denn die Bankenpolitik hat mannigfache Berührungspunkte zur Steuerpolitik. Das merkt man schon daran, dass Helmut meistens nicht von Bankgeheimnis sondern von Steuerhinterziehergeheimnis redet. Seiner Meinung müssen wir jetzt einen Akt des Gedenkens durchführen. Die Trauergemeinde besteht aus den Parteitagen von FDP, CVP und SVP. Sie müssen von einem Mythos Abschied nehmen. Als erstes sind die Bundesrat Villiger (das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar) und Merz zu nennen. Über Merz hat die Hamburger Wochenzeitung “Die Zeit” geschrieben: “Selten hat ein Schweizer Bundesrat so viel Unheil angerichtet wie der Appenzeller.” Wir von der SP gehören nicht zur Trauergemeinde. Wir sagen: “Endlich ist es soweit.” Hubacher zitiert wohl nicht ohne Schadenfreude den früheren UBS-Chef Grübel: “Das Bankgeheimnis ist mausetot. Der Mythos ist verglüht.” Und dann Hubacher: “Das Bankgeheimnis hat als Geschäftsmodell des Steuerbetrugs ausgedient. Ja, früher wurde Kritikern noch “Verrat” entgegengeschleudert, und “Das Bankgeheimnis schützt die Privatsphäre.” Dann in den 60-er Jahren erschien das Buch von Jean Ziegler mit dem Resümee Die Schweiz ist mit Schwarzgeld reich geworden. Ziegler sagte, dass Gangstern eine weisse Weste verpasst wurde. Daraufhin wurde er als Nestbeschmutzer abgestempelt. 1982 hat die SP einen Versuch gestartet, das Bankgeheimnis zu lockern. Den Abstimmungskampf liess sich die Bankiervereinigung 20 Millionen Franken kosten (zum Vergleich bei der Abzockerinitiative waren es nur 5 Mio). Durch Zufall (im Zug vergessen!) gelangte Helmut Hubacher in den Besitz des  Protokolls der 309-ten Sitzung der Bankiersvereinigung. Einziges Traktandum dieser Sitzung war, wie bekämpft man die Initiative der SP. Alles war übrigens mit dem damaligen freisinnigen Bundesrat Chevallaz abgesprochen. Hier stand schwarz auf weiss, wie Lobby funktioniert. Die Initiative wurde damals mit 79% abgelehnt. In den ersten 2 Jahren hätte die SP wahrscheinlich die Abstimmung gewonnen. (Bemerkung: Das war wahrscheinlich, da die SKA-Affäre in Chiasso noch frisch im Gedächtnis war.) Deshalb wurde die Abstimmung mehrere Jahre aufgeschoben. Ein Bankenvertreter sagte zu Hubacher: “Wir haben gewartet, bis eine andere Sau durchs Dorf getrieben wird.” Heute wird die SP-Initiative vollzogen. Das zeigt: Politik ist ein Marathonlauf. (Bemerkung: Es ist grossartig, wenn ein so erfahrener Politiker wie Hubacher die Geschichte Revue passieren lässt. Nur so können wir die bürgerlichen Tricks kennen lernen, welche leider erst immer Jahrzehnte später bekannt werden, (wenn die Allermeisten nicht mehr daran interessiert sind)).

 

Dann kam die Detailberatung: Ich hatte  zwei Anträge eingereicht. Der eine betraf die empirische Steuerverteilung, der andere die Transparenz. Die Geschäftsleitung schlug Annahme in modifizierter Form vor.

 

Als Vertreter des Kantons Luzerns teile ich Euch gerne mit, was ich am Parteitag gesagt habe:

“Warum habe ich einen Antrag gestellt. Dies hat folgende Vorgeschichte: Vor gut einem Jahr war in Kriens eine Abstimmung über eine Steuererhöhung, die nach mehrmaligen vergeblichen Anläufen angenommen wurde. Danach hatte ich eine Diskussion mit einer Arbeitskollegin. Sie zitierte aus dem Abstimmungsbüchlein. Demnach versteuern in Kriens nur 353 Haushalte mehr als 100’000 Franken. Sie hat mit zwei Feststellungen reagiert:

Erste Feststellung: “Irgendetwas machen wir, macht unsere Familie falsch.” Die Zweifel an der Statistik sind überaus berechtigt. Denn Kriens hat mehr als 26’000 Einwohner und weit mehr als 353 schöne Häuser.

Zweite Feststellung:  “Was macht die SP”? Da wusste ich zunächst nicht, was antworten. Ich habe mir gedacht. Das ist ein Auftrag an Dich. Als Delegierter musst Du aktiv werden. Denn dies ist ja nicht nur ein Problem der Gemeinde Kriens, das ist ein Problem, welches die meisten öffentlichen Gemeinwesen der Schweiz betrifft. Aus diesem Grund habe ich unterstützt von der Sektion Luzern einen Antrag an die GL der SPS gestellt, die SP solle prüfen aus welchen Gründen die Steuerverteilung so merkwürdig ist.

Inzwischen die SPS sich dieser Sache angenommen und ein umfassendes und viel weiter gehendes Papier verfasst. Mein Anliegen ist aber dennoch nicht vollständig aufgehoben. Deswegen haben ich einen zu diem Papier einen Antrag (A1) gestellt, welcher mein Anliegen aufgreift. Diese Ergänzung ist wichtig. Denn wenn es stimmt, dass die Reichen sich um ihre Steuerpflichtigen foutieren können, dann wird zumindest ein Teil der Steuerlast auf die Kleinen abgewälzt, auf Leute also, bei welchen jeder Franken zählt. Unsere Argumente, dass eine Steuersenkung für weniger Verdienende nur wenige Franken pro Jahr ausmacht, wird nicht akzeptiert. Es ist die Ungerechtigkeit, welche manches Nein zu einer Steuererhöhung verursacht. Und dann, wenn nein gestimmt wurde, können sich die Reichen die Hände reiben.

Um die Akzeptanz einer Steuererhöhung zu steigern, habe ich noch einen weiteren Antrag (A10) gestellt. Der betraf die Transparenz. Nur ein einfaches System, kann als gerecht empfunden werden, und nur ein einfaches System wird akzeptiert.

Vielleicht noch zwei Bemerkungen.

– Ich bin Alt-68-er. In den 68er Jahren wollten wir das System verändern. Man hat uns entgegnet, was wollt ihr wir haben Sozialstaat und Steuerprogression. Das System hat eure Anliegen längst erfüllt. Wenn die Politik sich in gleichem Stil wie in den letzten Jahre fortsetzt, dann wird dieses Argument nicht mehr gültig sein.

– Und dann möchte ich schliessen. Es heisst immer, gute Leistung muss gut bezahlt werden, und darf nicht weggesteuert werden. Dazu hat ein Solothurner Mathematiklehrer in einem Leserbrief an das TA-Magazin geschrieben: “Ospel hat in einem Jahr mehr verdient als Einstein in seinem Leben. Einstein hat in einem Jahr mehr für die ganze Menschheit geleistet, als Ospel in seinem ganzen Leben.” “

 

A1 wurde in modifizierter Form angenommen. A2 wurde angenommen. Da die Tischvorlage bei die Seiten falsch eingeheftet hatte, habe ich übersehen, dass in A1 der Nachsatz fehlt, “die SP wird diesen Sachverhalt weiter beobachten, und entsprechende Massnahmen ergreifen.” Ich hoffe, dass die SP das beherzigen wird, ohne dass es in der definitiven Fassung steht. Implizit ist diese Idee ohnehin enthalten.

In der Schlussabstimmung wurde das Papier zu den Steuern einstimmig angenommen.

 

Ich habe mir nach meinem Redebeitrag eine Kaffeepause gegönnt, und die weitere Detailberatung nicht verfolgt. Die übrigen Anträge und die definitiven Resultate sind aber im Internet aufgeschaltet.

 

Von den Parolenfassungen und  Resolutionen berichte ich nur auszugsweise, auch diese werden demnächst im Internet aufgeschaltet.

 

Einheitskrankenkasse: Sehr sorgfältig ging man bei der Parolenfassung für die Einheitskrankenkasse vor.

Ein wichtiger Kritikpunkt am gegenwärtigen System ist die Abwerbung von sogenannten guten Risiken. Die Gesundheitsdirektorin des Kantons St. Gallen wies auf teilweise katastrophale Verhältnisse hin. Liselotte Lüscher von SP 69 + machte darauf aufmerksam, dass die über 60-Jährigen als schlechte Risiken gelten und immer wieder diskriminiert werden. Das beliebte Argument, man könne ja die Kasse wechseln, stimme in vielen Fällen auch nicht. Der Arzt Thomas Kroner zählte weitere Gründe auf. Er sei nicht Parteimitglied, aber er unterstütze unsere Initiative. Für sind in erster Linie staatsbürgerliche Gründe massgebend. Aber es gäbe auch medizinische: Es gäbe Medikamenten, welche zugelassen seien. Diese könne der Hausarzt beantragen. Die Krankenkasse würde in diesem Fall den Vertrauensarzt beauftragen, den Fall zu prüfen. Schliesslich ist die Krankenkasse aber nicht an diese Meinung gebunden. Deshalb ist die Finanzierung von Krankenkasse zu Krankenkasse höchst unterschiedlich. Es gibt Krankenkassen, welche fast 100% der Anträge gutheissen, andere nur 50%. Zwar seien die Versicherer mit diesem Vorgehen zu 78% zufrieden. Anders die Vertrauensärzte. Zwei Drittel seien damit unzufrieden und empfänden diese Praxis als willkürlich.

Die Ja-Parole wurde einstimmig gefasst.

 

R2 Alternativvorschlag zur Resolution der GL “Eine Gutschrift für jedes Kind” wird angenommen, trotz der Kritik, sie sei nicht vermittelbar, und sie habe technische Mängel.

R6  Nein zum Schnüffelstaat wird angenommen. Ausschlaggebend war, dass man grundsätzlich keinen Schnüffelstaat wolle. Das Gegenargument, man brauche das Bipf zur Verbrechensbekämpfung, wurde von der Mehrheit nicht akzeptiert. In einem temperamentvollen Votum kritisierte Susanne-Leutenegger auf diesen Gesetzentwurf. Ein kritischer Punkt waren die Staatstrojaner, welche in den Computer eines Verdächtigen eingeschleust wird. Selbst der Bundesrat schreibe in seiner Botschaft, dass man nicht wisse, welche negativen Auswirkungen so ein Computervirus haben kann. Zwar konnte die Juristin Schneider Schüttel übrigens auf sehr sachliche Art einige Kritikpunkte entkräften. R6 wurde übrigens entgegen dem Willen der Geschäftsleitung angenommen.

R8 Resolution SP 60+ “Keine Rezepte von gestern für Probleme von heute. Gegen die Wiedereinführung des Saisonnierstatuts”

Diese Resolution wurde klar angenommen. Ein Grund mehr auf unsere Partei stolz zu sein.

Am Schluss der Tagung präsentierte Solidar Suisse ihre Arbeit. Im Zusammenhang mit den Fussballweltmeisterschaften in Südafrika, Brasilien und Katar hat diese Organisation untersucht, wie die Veranstalter und speziell die FIFA ihre Rolle als Arbeitgeber wahrnehmen. Sowohl in Südafrika als auch in Brasilien, wurden die Arbeiter auf den Baustellen auf üble Weise ausgebeutet. Sie sind permanent in Verhandlungen, um deren Los zu verbessern. Ausserdem wurden in Brasilien im Umfeld der Stadien über 250’000 Menschen aus ihren Favelas vertrieben. Ähnlich wurden 100’000  Strassenhändler gehandelt, welche im Umfeld der Stadien ihre Waren feilboten.

Günter Baigger

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