Die Kosten des Sozialstaates

Immer wieder wird in den Medien über das Ausmass der Kosten der Sozialleistungen geklagt. In der Tat, es ist sehr viel, was in der Schweiz für Sozialausgaben aufgewendet wird. Gemäss statistischem Jahrbuch wurden im Jahr 2010   153 Milliarden Franken für die soziale Sicherheit aufgewendet. Dies entspricht 27 Prozent des BIP. Wieso bleibt dieser Prozentsatz gleich und sinkt nicht? Das wirtschaftliche Wachstum müsste doch alle Menschen besser stellen und den Bedarf an Sozialleistungen senken.

Wohin das Geld fliesst

Um dies zu verstehen, zerlegen wir die Summe der Sozialausgaben in seine wichtigsten Bestandteile:

  • AHV: 37 Milliarden Franken
  • berufliche Vorsorge: 44 Milliarden Franken.
  • Obligatorische Krankenversicherung 38 Milliarden Franken.
  • Obligatorische Unfallversicherung: 6 Milliarden Franken.

Zusammen sind dies 115 Milliarden Franken. Diese Leistungen schöpfen somit einen grossen Teil der Sozialausgaben aus.

Diese Leistungen kommen allen und nicht nur den „Armen“ zugute. Sie werden an fast alle Bürger ausgerichtet. Notabene: Jeder Bürger wünscht diese Leistungen. Dies hat das eindeutige Abstimmungsresultat von 1972 gezeigt. Damals wurde in die Verfassung der Grundsatz geschrieben, dass die obligatorischen Alters-, Invaliditäts- und Hinterlassenenleistungen die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung garantieren sollen. In der Tat, jeder möchte im Alter ohne materielle Beeinträchtigung leben. Das blosse Existenzminimum ist den meisten zu wenig.

Hinzu kommt: Das Preis-Leistungsverhältnis der obligatorischen Leistungsträger ist gut. Würde man sich privat gegen diese Risiken versichern lassen, müsste man für gleiche Leistungen mehr zahlen. Das Obligatorium dieser Versicherungszweige ist somit keine Entmündigung des Bürgers.

Vorsicht bei Statistiken

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Stellung der beruflichen Vorsorge. In der Diskussion um das BVG haben sich seinerzeit Versicherungsgesellschaften und Pensionskassen dagegen gewehrt, dass man die berufliche Vorsorge zu den Sozialversicherungen zählt. Sie haben sich nicht durchgesetzt. Aber dies zeigt, dass es nicht legitim ist, über gestiegene Sozialausgaben zu jammern, wenn die berufliche Vorsorge mitgemeint ist. Übrigens, wenn ein Manager bei einem Stellenwechsel eine Abfindung erhält, dann wird diese vielfach aus steuerlichen Gründen als Einlage in die Pensionskasse ausgerichtet. In der Statistik wird dieser Teil der Abfindung als Sozialleistung gezählt. Also, Augen auf bei der Interpretation von Statistiken.

Blick in die Zukunft

Wir kehren zum Ausgangspunkt zurück und fragen: Werden die Sozialleistungen in Zukunft weiter wachsen? Die Antwort lautet ja. Denn unsere Wirtschaft wird permanent produktiver. Den Produktivitätsgewinn kann man in verschiedener Form weitergeben, als höheren Lohn, als höhere Rente, als Reduktion der Wochenarbeitszeit, oder als Herabsetzung des Rentenalters. Alle diese Formen wurden in der Vergangenheit wiederholt angewendet. Es wurden Löhne und Renten erhöht, es wurde die Wochenarbeitszeit reduziert. Weiter ist die Lebenserwartung gestiegen. Die Renten laufen länger. Auch das führt zu höheren Sozialausgaben. Eine Extrapolation dieser Trends führt zu einem weiteren Anstieg der Altersleistungen. .

Auch die Krankenversicherungskosten werden zunehmen. Die Medizin macht laufend Fortschritte. Diese verlängern die Lebensdauer. Damit wächst auch die Zeit, während welcher medizinische Leistungen erbracht werden. Und das heisst Zunahme der Kosten. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Wachstumsraten im Gesundheitswesen immer über dem BIP-Wachstum lagen. In Zukunft wird das nicht anders sein.

Das heisst aber auch Zunahme der Sozialausgaben insgesamt. Das Wachstum der Sozialausgaben ist nicht Ausdruck von Armut oder mangelnder Effizienz, sondern es ist ein Zeichen steigender Produktivität und steigenden Wohlstandes..

Günter Baigger

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